Interview mit Dr. Achim Kessler, MdB

Am Dienstag, 30. April 2019 besuchte der Bundestagsabgeordnete Dr. Achim Kessler (Die Linke) unsere Initiative. Nach einem gemeinsamen Rundgang in der Geflüchteten-Unterkunft In der Au sprach Kessler mit uns über unsere Arbeit. 

W.i.R.: Herr Dr. Kessler, Sie haben sich als bisher erster Abgeordneter des deutschen Bundestages für die Tätigkeit unser lokalen Flüchtlingshilfe vor Ort interessiert und konnten sehen, wie wir zum Beispiel Hausaufgaben- und Deutschhilfe, Fahrradwerkstatt, Näh- und Handarbeits-Werkstatt organisieren. Wie bewerten Sie unsere Einstiegshilfe und Kontaktmöglichkeit für Geflohene zu Bürgern?
Achim Kessler: Bürgerinitiativen wie W.i.R. haben eine Schlüsselrolle bei der Integration von geflüchteten Menschen. Sie sind im Stadtteil tief verwurzelt und können so als Schnittstelle zu den übrigen Bewohnern des Stadtteils dienen. Integration besteht doch genau darin, dass geflüchtete Menschen zum gleichberechtigten Teil unserer Gesellschaft werden. Besonders gut gefallen haben mir die Fahrradwerkstatt, der Nähkurs und die Gespräche, die ich mit einigen Geflüchteten dort geführt habe. Man lernt sich kennen, wenn man gemeinsam Fahrräder repariert oder näht. Und es ist ein Geben und Nehmen, wie die Betreuerin des Nähkurses erzählt hat: Sie hat berichtet, dass Sie selbst im Kurs schon viele erstaunliche Nähtechniken aus anderen Ländern kennengelernt hat.

W.i.R: Wieso waren Sie besonders an W.i.R. interessiert?
Achim Kessler:  Ich habe das Glück, dass sich der weltoffene Stadtteil Rödelheim in meinem Wahlkreis befindet. Nach meinem Politikverständnis muss ein Abgeordneter über die Lebensbedingungen in seinem Wahlkreis gut informiert sein. Ein realistisches Bild kann man sich letztlich nur vor Ort machen, weshalb ich mich sehr über die Einladung gefreut habe. Ich brauche das direkte Gespräch, damit ich einen Kompass und Maßstab für meine politische Arbeit habe. Denn ich möchte im „Raumschiff Bundestag“ nicht die Orientierung verlieren.

W.i.R.: Gibt es etwas, was Ihnen von W.i.R. besonders in Erinnerung geblieben ist?
Achim Kessler: Das Engagement der Mitglieder der Initiative beeindruckt mich. Mir gefällt, wie viele Gedanken Sie sich darüber gemacht haben, für alle Gruppen im Flüchtlingswohnheim ein Angebot zu finden. Auf Nachfrage habe ich erfahren, dass am Nähkurs nur Frauen teilnehmen können, um für Frauen die Schwelle zur Teilnahme zu senken. Der Nähkurs ist oft der Einstieg für die Teilnahme an anderen Angeboten, wie zum Beispiel an Sprachkursen.

W.i.R.: Haben Sie den Eindruck, dass Politik und Behörden eine wirklich baldige und gelungene Integration der hier angekommenen Geflohenen anstreben, oder eher die Hürden zum Verbleiben höher setzten wollen?
Achim Kessler:  Die Bundesregierung hat keine Voraussetzungen für eine gute und erfolgreiche Integration geschaffen und betreibt stattdessen weiter eine Politik der Abschottung, des Generalverdachts und der Entrechtung gegenüber Einwanderern und Geflüchteten. Es ist völlig verrückt, dass die Bundesregierung mit der schrittweisen Verschärfung des Asylrechts der rassistischen AfD auch noch in die Hände spielt. Alle demokratischen Parteien müssen diesem Rassismus gemeinsam entgegen treten.
Das Problem liegt also nicht in Rödelheim, wo ein relativ großes Gelände gefunden worden ist. Ich habe den Eindruck, dass die Stadt und der Träger des Wohnheims versuchen, aus den schwierigen Rahmenbedingungen das Beste zu machen. So wurde zum Beispiel die Versorgung durch einen Caterer durch individuelle Möglichkeiten für die Bewohnerinnen und Bewohner ersetzt, sich selbst Essen zu kochen. Es müssen aber die Rahmenbedingungen verbessert werden. Denn die Mieten in Frankfurt sind natürlich auch für Geflüchtete zu hoch. Viele müssen deshalb weiterhin in den Notunterkünften bleiben. Hier könnte auch das Land Hessen und die Stadt Frankfurt mehr tun. Es ist nicht die Aufgabe öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften teure Wohnungen zu bauen, sondern für ausreichend günstige Wohnungen zu sorgen. Das würde uns allen zugutekommen, auch den Geflüchteten.

W.i.R: Welches sind, kurzgesprochen, die Positionen der Partei DIE LINKE zur Flüchtlings- und Asylpolitik in Europa?
Achim Kessler:  Es ist unerträglich, dass das Mittelmeer ein Massengrab geworden ist und Helferinnen und Helfer, insbesondere in der Seenotrettung, für die Rettung von geflüchteten Menschen noch bestraft werden. DIE LINKE will die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpfen, anstatt Geflüchtete zu bekämpfen und deren Fluchtwege zu blockieren. Was heißt das konkret? Das bedeutet, dass der Export von Rüstung aus Deutschland verboten werden muss. Denn die Hauptursache von Flucht sind nach wie vor Kriege. Das bedeutet, dass Deutschland seine wirtschaftliche Macht nicht länger dafür missbrauchen darf, armen Ländern unfaire Handelsabkommen aufzuzwingen. Damit wir im Bundestag etwas erreichen können, brauchen wir den Druck von der Straße. Ich freue mich deshalb, dass viele Schülerinnen und Schüler auch in Frankfurt jeden Freitag gegen die Untätigkeit angesichts des Klimanotstands demonstrieren. Den der Klimawandel trifft Arme wesentlich härter als Reiche. Die Klimaverschlechterung wird immer mehr zur Fluchtursache. Die Untätigkeit muss endlich aufhören!